Medizin der Zukunft? Molekularer Wasserstoff gegen oxidativen Stress

Nicht nur im Periodensystem ist Wasserstoff ganz vorn, auch in der Forschung nimmt er gewissermaßen eine Sonderstellung ein. Schon lange ist man auf Suche nach einer Möglichkeit, Wasserstoff zur Energiegewinnung zu nutzen. Obwohl es immer wieder Rückschläge bei der konkreten Umsetzung gab, gilt der gasförmige Wasserstoff spätestens seit der Entwicklung der Brennstoffzelle definitiv als Treibstoff der Zukunft. Seit langem wird auch daran geforscht, Wasserstoff zu einem Metall zu pressen, um es potenziell als Supraleiter, ultraleichter Werkstoff oder als besonders umweltfreundliche Treibstoff-Pellets zu nutzen. Nur für die medizinische Forschung war das Element lange uninteressant, da es keinerlei Wirkung auf den menschlichen Körper zu haben schien – bis eine Studie aus Japan im Jahre 2007 das Gegenteil zeigte.

Wasserstoffgas wirkt als Antioxidans

In ihrem Experiment an Ratten konnten die Forscher demonstrieren, dass sich durch die Verabreichung von Wasserstoff Gewebeschäden reduzieren ließen, die als Folge der Therapie einer Durchblutungsstörung im Gehirn entstehen[1]. Wird ein Gewebe auf Dauer nicht (oder nicht ausreichend) durchblutet, verändert sich durch den Sauerstoffmangel der Stoffwechsel der Zelle. Das Gewebe wird geschädigt und es entstehen Stoffwechselprodukte, die bei der Wiederherstellung des Blutflusses mit dem darin enthaltenen Sauerstoff reagieren und zu sogenannten reaktiven Sauerstoffradikalen umgewandelt werden. Dadurch wird das betroffene Gewebe noch stärker zerstört. Besonders das Gehirn reagiert empfindlich auf Sauerstoffmangel und die Folgen einer Minderdurchblutung (Ischämie). In der Studie wirkte der molekulare Wasserstoff wie ein hochwirksames Antioxidans, indem er die entstandenen Radikale weitgehend neutralisierte und weitere Gewebsschäden auf diese Weise verhinderte.

Seit der Veröffentlichung der Studie hat sich in der Forschung vieles getan. Inzwischen existieren über 500 Studien, die sich mit der antioxidativen Wirkung von Wasserstoff bei verschiedenen Erkrankungen und Anwendungsformen auseinandergesetzt haben – mit vielversprechenden Ergebnissen. Diesen Studien zufolge, die größtenteils aus Japan und Korea stammen, kann Wasserstoff als wirksames Antioxidans in der Therapie und bei Vorbeugungsmaßnahmen eingesetzt werden. Im Vergleich zu den bereits bekannten Antioxidantien bietet er entscheidende Vorteile, weil er selektiv wirkt und – im Gegensatz zu Vitaminen  – nicht in nützliche Vorgänge im menschlichen Organismus eingreift. Das sind beispielsweise Prozesse, bei denen sich Immunzellen der freien Radikale bedienen, um eindringende Bakterien oder Viren zu attackieren. Zudem ist die Anwendung des Wasserstoff-Gases denkbar unkompliziert. Kurzum, es klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Um die Wirkungsweise von molekularem Wasserstoff im menschlichen Körper nachzuvollziehen, muss man sich mit den physikalischen und chemischen Besonderheiten dieses Elements auseinandersetzen.

Was ist freier Wasserstoff / molekularer Wasserstoff?

Bei Wasserstoff (lat. hydrogenium) handelt es sich um ein chemisches Element mit dem Symbol „H“, welches aufgrund seiner geringen Masse an erster Stelle im Periodensystem steht. Es ist aber nicht nur das leichteste Element, sondern auch das häufigste im gesamten Universum. In der Regel kommt der Wasserstoff jedoch nicht in seiner atomaren Form vor, sondern als H2-Molekül (zwei Wasserstoff-Atome, die durch Atombindung verbunden sind). Dieser molekulare Wasserstoff, auch als freier Wasserstoff bezeichnet, ist ein farb-, geruchs- und geschmackloses, ungiftiges und nicht-metallisches Gas.

Seit seiner Entdeckung übt es aufgrund seiner Eigenschaften eine Faszination auf die Forscher aus: So gab es in der Geschichte bereits eine Reihe von Anläufen, Wasserstoff als Auftriebs- oder Antriebsmittel zu nutzen. Beispielsweise wurden die Auftriebskörper der ersten Zeppeline mit Wasserstoffgas gefüllt, weil seine Dichte geringer ist, als die der Luft. Seit den sechziger Jahren des 21. Jahrhunderts setzt man Wasserstoff in modernen Brennstoffzellen ein, in denen Energie durch die Reaktion von Wasserstoffgas mit Sauerstoff entsteht. Als einziges Abfallprodukt entsteht bei diesem Vorgang Wasser in Form von Wasserdampf, daher gilt diese umweltfreundliche Brennstoffzelle als Antrieb der Zukunft. 

Wasserstoff in der Medizin

Für medizinische Zwecke galt Wasserstoff lange als uninteressant, da man es für unwirksam hielt. Bereits 1975 wurden erste Versuche an Mäusen durchgeführt, die jedoch keine Beachtung fanden[2]. Die Studienergebnisse von 2007 wurden jedoch besonders im asiatischen Raum als Sensation aufgenommen und so war schließlich auch in der medizinischen Forschung ein Durchbruch gelungen.

Wasserstoffgas wirkt im Körper auf zweierlei Arten: als Energielieferant und als Antioxidans. Zum einen ist das Element Bestandteil von Kohlenhydraten und Fetten, die im Körper zerlegt werden. Dabei wird der freigewordene Wasserstoff an spezielle Moleküle in den Mitochondrien (den „Kraftwerken der Zellen“) gebunden und gespeichert. Wenn diese mit Sauerstoff reagieren, wird Energie freigesetzt, die von den Energieträgern (ATP) aufgenommen und transportiert wird. Zum anderen wirkt molekularer Wasserstoff (H2) wie ein Antioxidans, indem er reaktive Sauerstoff- und Stickstoffradikale (siehe unten: Theorie der freien Radikale) neutralisiert, die zum Beispiel bei der Zellatmung oder durch verschiedene äußere Faktoren anfallen. Dabei hat das Wasserstoffgas mehrere entscheidende Vorteile, die es für die Medizin besonders interessant machen:

  • Unbedenklichkeit: Wasserstoffgas ist unbedenklich in der Anwendung am Menschen, was bereits durch mehrere Studien nachgewiesen werden konnte.
  • Leichte und schnelle Verteilung im Organismus: Aufgrund seiner geringen Größe können die Wasserstoffmoleküle alle Gewebe durchdringen und sich zügig im Körper verteilen. Auch die Blut-Hirn-Schranke können sie problemlos überwinden, so dass Schäden am Hirngewebe verringert werden können.
  • Wasser- und Fettlöslichkeit: Um in jede Zelle vorzudringen, müssen auch Fettschichten überwunden werden. Da Wasserstoffgas fett- und wasserlöslich ist, kann er in Zellen eindringen, die von einer Fettschicht umgeben und mit Wasser gefüllt sind. 

Theorie der freien Radikale (Free Radical Theory of Aging, FRTA)

Radikale sind Atome oder Moleküle, die aufgrund vorangegangener Reaktionen mit einem unpaaren Elektron verblieben sind. Aus diesem Grund sind sie besonders reaktionsfreudig, denn sie versuchen stets dieses Defizit auszugleichen. Um an ein Elektron zu gelangen, „greifen“ sie andere Atome oder Moleküle an und entreißen diesen ein Elektron. Diesen Vorgang, bei dem ein Atom oder Molekül ein Elektron „verliert“ bezeichnet man als Oxidation. Diesen schädigenden Prozess macht sich der Körper aber auch im Kampf gegen schädliche Mikroorganismen zunutze, indem er in Zellen der Immunabwehr Radikale einbettet, um sie gegen die eingedrungenen Bakterien oder Viren einzusetzen. Radikale entstehen ununterbrochen, auch bei ganz normalen und notwendigen Stoffwechselvorgängen, wie der Zellatmung. Daher hat sich der menschliche Organismus angepasst: er kann dem Oxidationsvorgang mit Hilfe eigener Radikalfänger (Antioxidantien, wie zum Beispiel Glutathion) entgegenwirken. Auch über die Nahrung nehmen wir Substanzen auf, die uns als zusätzliche Antioxidantien dienen, wie zum Beispiel Vitamin C, E oder sekundäre Pflanzenstoffe.

Wenn aber durch verschiedene Umstände, wie Krankheit oder Mangelernährung, auf Dauer mehr Radikale erzeugt werden, als abgefangen werden können, entsteht fortschreitender oxidativer Schaden an Proteinen, mitochondrialen Membranen, mitochondrialer DNA und anderen Zellbestandteilen. Man bezeichnet diesen Zustand als oxidativen Stress. Die Schäden, die durch oxidativen Stress entstehen, können bei allen chronischen Erkrankungen beobachtet werden. Auch der Vorgang des Alterns geht, der „Theorie der freien Radikale“ zufolge, auf oxidativen Stress zurück. Versucht man nun, dem Oxidationsvorgang durch die Zufuhr von hochdosierten Antioxidantien, wie Vitamin C, entgegenzuwirken, stellt man bei langanhaltender Einnahme wider Erwarten keine Besserung fest. Moderne Studien weisen sogar darauf hin, dass eine unspezifische und hochdosierte Zufuhr einzelner Vitamine als Nahrungsergänzungsmittel zu einer gesundheitlichen Verschlechterung und zu höheren Erkrankungsraten führen kann.

Vorteile des molekularen Wasserstoffs als Antioxidans

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass verschiedene Formen von freien und in Immunzellen eingebetteten Radikalen sowohl durch natürliche als auch durch pathologische Vorgänge in unserem Körper erzeugt werden. Um diese zu neutralisieren und größeren Schaden zu verhindern, werden Antioxidantien benötigt, die unser Körper selbst herstellen und über die Nahrung aufnehmen kann. Die über die Nahrung aufgenommenen Antioxidantien können jedoch nicht zwischen nützlichen und schädlichen Radikalen unterscheiden, daher kann sich ihre Wirkung bei hochdosierter und langfristiger Zufuhr über Nahrungsergänzungsmittel ins Gegenteil verkehren.

Im Fall vom molekularen Wasserstoff ist es anders, denn seine Wirkung ist selektiv. Jedes Wasserstoff-Atom besteht aus einem Proton und einem Elektron und verbindet sich daher besonders „gern“ mit Sauerstoffradikalen, die ihr fehlendes Elektron aufzufüllen versuchen. Bei der Verbindung von molekularem Wasserstoff (H2) mit den sogenannten Hydroxylradikalen (OH), dem schädlichsten freien Radikal im menschlichen Körper, entstehen nur Wassermoleküle (H2O) und keinerlei Abfallprodukte. Auch Stickstoffradikale (Peroxynitrit-Anionen, ONOO-) können durch molekularen Wasserstoff neutralisiert werden. Darüber hinaus breitet sich Molekularer Wasserstoff schnell im Körper aus und dringt in jede Zelle vor, was für seine Wirksamkeit entscheidend ist. Das ganze medizinische Potenzial von Wasserstoff muss noch erforscht werden, aber die bisherigen Ergebnisse sind aber vielversprechend. Allein durch die Reduktion von oxidativem Stress ist molekularer Wasserstoff in der Lage, auf viele Erkrankungen einzuwirken, darunter Typ-2-Diabetes, Allergien, Arteriosklerose, Parkinson und Alzheimer[3].

Leicht anzuwenden: Wasserstoffreiches Wasser

Dabei ist die Anwendung nicht kompliziert. Molekularer Wasserstoff kann folgendermaßen verabreicht werden:

  • über die Luft: dabei wird die Atemluft des Patienten mit dem Wasserstoff-Gas (H2-Moleküle) angereichert
  • über das Trinkwasser: Auch Wasser kann gut mit dem Wasserstoff-Gas angereichert werden. Dabei muss es sich allerdings um gut aufbereitetes Wasser (optimalerweise Osmosewasser) handeln, damit die H2-Moleküle nicht mit den im Wasser gelösten Stoffen reagieren[4].
  • über das Badewasser: Das im Badewasser gelöste Wasserstoff-Gas kann in diesem Fall über die Haut aufgenommen werden.
  • über Injektionen: Dafür wird H2 in einer sterilen Salzlösung angereichert und anschließend injiziert.

Die Aufnahme über das Trinkwasser stellt die schnellste und einfachste Anwendungsart dar.

Fazit

Molekularer Wasserstoff hat in der jüngsten Vergangenheit ein großes Potenzial für zukünftige Entwicklungen in der Medizin gezeigt. Die Popularität der Studienergebnisse ist in Europa noch gering, was sich auch daran ablesen lässt, dass der Großteil der Studien aus dem asiatischen Raum (vor allem Japan und Korea) stammt. Grundsätzlich besteht noch Bedarf an weiteren Studien, doch bereits jetzt steht fest, dass molekularer Wasserstoff eine sichere und einfach anzuwendende Methode ist, um den oxidativen Stress im Körper zu reduzieren. Zudem handelt es sich um eine verhältnismäßig kostengünstige Anwendung, vor allem wenn der Wasserstoff über angereichertes Trinkwasser aufgenommen wird.



[1] Ohsawa, I., Ishikawa, M., Takahashi, K. et al. (2007). Hydrogen acts as a therapeutic antioxidant by selectively reducing cytotoxic oxygen radicals. Nature medicine13(6), 688-694.

[2] DOLE, Malcolm; WILSON, F. Ray; FIFE, William P. Hyperbaric hydrogen therapy: a possible treatment for cancer. Science, 1975, 190. Jg., Nr. 4210, S. 152-154.

[3] Ferger, Dietmar. „Molekularer Wasserstoff: Vom biologisch unbedeutenden Gas zum medizinischen Shootingstar“. CO.med 9 (2016): 44-46.

[4] Unser Leitungswasser enthält mitunter hohe Konzentrationen an Nitrat. Bei der Anreicherung mit Wasserstoff wird es zu Nitrit reduziert, welches mit Proteinen aus der Nahrung reagieren und sich zu krebserregenden Nitrosaminen umwandeln kann.

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